Ein Reisebericht von Thomas Bauer
Durch die Pyrenäen in die Garonne
Was als spontane Idee beginnt, entwickelt sich für Thomas Bauer und seinen langjährigen Freund Christian zu einer anspruchsvollen Kanutour: Von den Nordhängen der Pyrenäen soll es bis nach Bordeaux gehen – auf einem Fluss, der unter Einheimischen als schwer berechenbar gilt. Gleich zu Beginn zeigt die Garonne ihren Charakter: ein schneller, steinreicher Bergfluss, der das Duo in einem viel zu schweren Dreierkanu kräftig durchschüttelt. Das Boot, das sie „Arnold“ taufen, erweist sich als stabil, aber unhandlich. Mit hoher Geschwindigkeit rauschen sie talwärts und meistern die ersten Stromschnellen.
Die Garonne, die in Spanien entspringt und mehr als 500 Kilometer durch Frankreich fließt, bleibt dabei weitgehend naturbelassen. Doch gerade das führt zu Problemen an den zahlreichen Wehren, die ohne Bootsrutschen auskommen. Mehrfach müssen Bauer und sein Begleiter „Arnold“ über unwegsames Gelände umtragen – eine körperlich kräftezehrende Aufgabe. Ein gesägtes Skateboard des Gastgebers Yannick verschafft nur begrenzt Erleichterung. Eine spektakuläre Kenterung an einer Staustufe macht schließlich deutlich, dass das schwere Boot keine Zukunft auf dieser Tour hat.

Wechsel des Materials und neue Etappe
Am zweiten Abend endet der Versuch, mit „Arnold“ weiterzufahren. Die Ufer sind dicht bewachsen, der Zugang zu Wehren unübersichtlich. Mithilfe der AirBnB-Gastgeberin Pascale gelingt schließlich die Bergung. Am nächsten Morgen folgt die pragmatische Entscheidung: Ein leichteres, aufblasbares Kanu muss her. In Toulouse wird das neue Boot gekauft und erhält den Namen „Arnaud“. „Arnold“ verbleibt als kurioses Hochzeitsfotomotiv im Schlossgarten von Saint-Martory.
Kurz darauf trennen sich die Wege der beiden Reisenden: Christian kehrt nach Deutschland zurück, Bauer setzt allein fort. Auf dem Wasser bleibt er weitgehend für sich – bis auf einige Milane, Kormorane und die zahlreichen Nutrias, die am Ufer leben. Menschliche Begegnungen beschränken sich auf drei Angler. Während das Paddeln zunehmend Routine wird, offenbaren sich die größeren Herausforderungen an Land: Dornen, Brennnesseln und lange Wege zu Unterkünften, die selten direkt am Fluss liegen.
Gleichzeitig erlebt Bauer, wie sich seine Wahrnehmung verändert. Er entwickelt ein gutes Gespür für Untiefen und Hindernisse, lenkt oft intuitiv in die richtige Richtung und verbringt immer mehr Zeit im Boot. Die Temperaturen steigen auf bis zu 38 Grad, was zusätzliche Vorsicht verlangt. Trotz allem wird die Reise von Begegnungen mit hilfsbereiten Menschen geprägt, die bei Orientierung, Transport und Informationen unterstützen.

Zwischen Gastfreundschaft und Strapazen
Die Unterkünfte entpuppen sich als positive Überraschung: historische Herrenhäuser mit weitläufigen Gärten, Pools und älteren Gastgebern, die gern Geschichten hören. Dennoch bleibt die Logistik fordernd. Das Boot wirkt an Land schwerfällig, und Ankunft sowie Abmarsch dauern oft länger als die reine Paddelzeit.
150 Kilometer vor Atlantiknähe verändert sich der Fluss erneut. Die Gezeiten beginnen den Rhythmus zu bestimmen, zweimal täglich kehrt sich die Strömung um. Um nicht gegen das Wasser anzukämpfen, muss Bauer seine Tageszeiten genau planen. Dennoch gelingt es ihm, am vorletzten Reisetag bei Frederique zu stranden, die ihn nach Bordeaux fährt und abends zum Barbecue einlädt. Begegnungen wie diese zeigen, dass im ländlichen Süden Frankreichs traditionelle Gastfreundschaft weiterhin selbstverständlich ist.

Endspurt nach Bordeaux
Am letzten Tag wird es noch einmal anspruchsvoll. Die mascaret – eine Gezeitenwelle, die flussaufwärts rollt – zwingt Bauer zu einem präzisen Timing. Die erste Brücke von Bordeaux erscheint am Horizont, doch der Abstand verringert sich kaum. Schließlich paddelt er im Zickzack unter mehreren Brücken hindurch und erreicht kurz vor der Umkehr der Strömung die Pontonbrücke der Wasserwacht.
Nach zwei Wochen und rund 500 Kilometern steht fest: Die Garonne ist befahrbar – sofern man bereit ist, sich auf ihre Eigenheiten einzulassen. Und sie bietet etwas, das in Europa selten geworden ist: Einsamkeit, Naturverbundenheit und die Begegnung mit einem Südfrankreich, das abseits der klassischen Routen seinen ganz eigenen Reiz entfaltet.
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