Rolf Stärk ist ein Globetrotter, wie er im Buche steht. Ob Sansibar, Syrien oder Spitzbergen: kein Weg war zu weit, kein Ziel zu ausgefallen, keine Herausforderung zu groß. Dutzende Länder rund um den Globus hat der Kölner in den vergangenen Jahrzehnten bereist, viele davon mit seiner Frau Ulrike und seinen beiden Hunden Vasco und Balou. Im Rahmen unserer neuen Serie „Fernsucht“ veröffentlichen wir alle zwei Wochen einen Auszug aus dem gleichnamigen Buch, das noch 2019 erscheinen wird. Lesen Sie in Folge 6, wie Rolf Stärk mit einem Geländewagen in die Abgeschiedenheit der kenianischen Savanne eintaucht – und nach einer Autopanne in der Wildnis einer Gruppe Löwinnen bedrohlich nahe kommt …
In Nairobi mietete ich nach sorgfältiger Wahl zwischen Fahrzeugtypen und Verleihfirmen einen Geländewagen, der offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte, obwohl mir bei Vertragsabschluss ein neuwertiger Wagen versprochen wurde. Die Reifen waren nicht die besten und obwohl ich ermahnt wurde, ihn nur ja aufgetankt zurückzubringen, war der Tank fast leer. Und ausgerechnet dieser Gauner hatte mich vor den vielen anderen Autoverleihgaunern gewarnt. Die Karre sollte uns noch eine Menge Kummer bereiten.
Nairobi ist eine jener recht zahlreichen Hauptstädte, die wirklich abscheulich sind, dabei gehört diese Stadt zu den bedeutendsten in Ostafrika. Nahebei und drum herum allerdings gibt es einige Kleinode, die wirklich einen Besuch verdienen. Die ehemalige Kaffeefarm von Karen Blixen gehört dazu, deren Park den Betrachter in die britische Kolonialwelt des vorletzten Jahrhunderts versetzt. Auch die eigenartige Giraffenstation, in der diese eleganten Tiere das von den Besuchern angebotene Futter mit langen schleimigen Zungen von der Hand schlecken. Vor allem aber der Naivasha-See. Dort kann man ungefährdet auf einer Halbinsel zwischen allen denkbaren afrikanischen Wildtieren umher wandern, denn es fehlt an jeglichen dem Menschen gefährlichen Tieren, von einer Büffelherde mal abgesehen, die man besser nicht reizen sollte. Zur Halbinsel gehört eine Lodge mit vernachlässigten Unterkünften, allerdings werden dort wunderbare Buffets im Freien angerichtet.
Auch dieser Ort erinnerte wieder beklemmend an die Kolonialzeit. Auf der Hinfahrt kam ich fast von der Straße ab, weil Ulrike unvermittelt loskreischte und auf etwas zeigte. Ich fürchtete, ein Kind überfahren zu haben oder dergleichen, aber nein, sie hatte Zebras gesehen, irgendwo weit weg. Ich knirschte mit den Zähnen, denn sie würde noch Tausende von diesen Pyjamaträgern sehen, vorausgesetzt freilich, sie gewöhnte sich diesen Lärm ab.
Foto: Bert SZ/unsplash
Wir machten es uns in einem der kleinen Lodge-Bungalows gemütlich und genossen unsere unmittelbare Umgebung: Rotzfreche Affen tobten auf Bäumen, Dächern und unserer Terrasse herum. Wehe dem, der im Freien ein Bier zu trinken versuchte, denn blitzschnell wurde das Getränk geklaut und mit hastigen Schlucken verzehrt, das hinterließ ein ziemlich perplexes Gefühl. Pferde rupften direkt vor dem Schlafzimmerfenster. Reiher mit einem Kopfputz wie brasilianische Sambatänzerinnen staksten schön und doof herum, es gab Papageienvögel und Puschelhühnchen und von den Bäumen blickten griesgrämig Marabus auf all das herab. Der Gipfel aber war ein Straußenpaar mit großen Augen und langen Wimpern. Die beiden schienen beim Laufen umständlich die Federröcke über ihre dicken nackten Schenkel zu raffen, waren sehr neugierig und ließen uns nicht aus den Augen. Der Straußenmann war ein recht seltsamer Bursche, denn wann immer er Ulrike erblickte, warf er sich zu Boden, breitete die Stummelflügel wie einen Schild vor sich und schlug den Kopf krachend mal rechts und mal links über die Schulter. Das erschien mir mehr als befremdlich und ich hielt dieses würdelose Verhalten für eine Art Balzgebaren, erinnerte es mich doch an gewisse eigene schwache Momente. Ein Kellner allerdings belehrte uns, dass der Vogel sich lediglich freue. Ich glaubte ihm kein Wort, doch Ulrike rührte und entzückte das dermaßen, dass sie fortan die meiste Zeit mit dem durchgeknallten Straußenmann verbrachte. Für mich war der Kerl glasklar pervers.
Tricks an der Tankstelle
Wir beschlossen, zu einer Stelle namens Arche („The Ark“) zu fahren. Die stundenlange Fahrt führte durch das Aberdare-Gebirge, vorbei am wolkenverhangenen Mount Kenya. An einer Tankstelle bekamen wir einen ersten Vorgeschmack auf den Einfallsreichtum einiger Ostafrikaner, wenn es darum geht, sich gegenseitig und Fremde übers Ohr zu hauen. Es begann mit dem Tankuhrentrick. Die Uhr stand schon auf umgerechnet 20 Euro, bevor das Einfüllen losging. An der nächsten Tankstelle stand die Uhr auf null, aber nach dem Befüllen wurde sie blitzschnell abgeschaltet und man verlangte 80 Euro von mir (offenbar die afrikanische Antwort auf einen beliebten Taxifahrertrick). Ich protestierte mit dem Argument, dass bei diesem Betrag der Tank größer sein müsste als das Auto. Das leuchtete ein und mit großem Gelächter und viel Schulterklopfen wurde mir der korrekte Betrag berechnet. Eine verbreitete Sitte bestand darin, beim Tankstopp heimlich ein wenig Altöl auf eines der heißen Räder zu gießen. Das qualmte und stank bestürzend, und die angebliche Reparatur konnte leicht ein paar hundert Euro kosten. Vor diesen Kniffen wurde schon längst in jedem Reiseführer gewarnt, aber wie oft war ich betrogen worden, ohne es gemerkt zu haben?
Die Leute nahmen das alles sehr sportlich, und deckte man aufmerksam die Sache auf, wurde das mit fröhlicher Anerkennung quittiert. Das klingt ganz sympathisch, aber ich habe meine Bedenken: Das Fehlen von Unrechtsbewusstsein und jeglicher Konsequenzen lässt die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung rapide sinken. Überfälle mit teils schrecklichen Folgen waren im einst sichersten Land Ostafrikas in bestimmten Stadtvierteln und Landstrichen schon immer an der Tagesordnung. Über die Jahre aber haben sie eine solche Verbreitung erfahren, dass immer größere Landesteile inzwischen nicht mehr ohne bewaffnete Begleitung oder große Gefahr zu bereisen sind. Selbst den Tsavo-Ost-Nationalpark mussten wir diesmal in Begleitung eines Bewaffneten durchqueren und ich bin mir keinesfalls sicher, wie der sich bei einem Überfall verhalten hätte. Der stets wohlfeile Hinweis auf Kolonialismus, zunehmende Ausbeutung und Tourismus als Verursachern reicht mir nicht aus. Das zu Recht schlechte Gewissen der Europäer, das häufig in eine groteske „Weg-mit-uns“-Mentalität mündet, löst nicht ein einziges Problem. Es stimmt: Die bisher gängige Entwicklungshilfe erschöpft sich noch immer weitgehend in versickernde Geldtransfers, für die heimische Wirtschaft tödlichen Bekleidungs- und Nahrungsmittellieferungen und in die eigene Export- und Geldwirtschaft fördernden Knebelverträgen. Sie ist nutzlos oder gar schädlich. Zum Standardrepertoire aufgeklärter Westeuropäer gehört es inzwischen, diese Binsenweisheit wie eine Schnapsfahne vor sich her zu tragen.
Foto: Vincent van Zalinge/unsplash
Aber zum einen findet die zunehmende Gewaltbereitschaft nicht einmal überwiegend gegen Touristen und Ex-Kolonialisten statt, sondern sie trifft in viel schlimmerer Weise die einheimische Bevölkerung. Zum anderen wird das für eine funktionierende Zivilgesellschaft unverzichtbare Gewaltmonopol des Staates durch reine Willkür der herrschenden Despoten ersetzt. Ein System hemmungsloser Korruption macht das Volk ärmer und ärmer. Eine unabhängige Gerichtsbarkeit ist inzwischen zum Fremdwort verkommen, Rechtssicherheit verschwunden. Wie sollen da Hemmschwellen, die in gesellschaftlicher Übereinkunft wurzeln, standhalten? Dass afrikanische Kleptokratien vom Westen, von Russland, von China aus Gier nach Bodenschätzen und billigen Arbeitskräften hofiert werden, ist skandalös, aber nicht allein ursächlich. War das denn in Asien anders? Und warum hat sich da, wo den Despoten internationale Unterstützung entzogen wurde wie in Simbabwe, nichts geändert?
Interessant und untersuchenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang die frappierende Immunität gegen diese Entwicklung bei Völkern wie den Samburu, den Massai oder Rendille: Diese haben sich den Regeln und Werten importierter „zivilisierter“ Kodizes schlicht verweigert. Es sind Nomaden- und Kriegervölker, die sich nicht einmal von den Engländern domestizieren ließen. Fürchten Sie nie um Ihre Barschaft oder Ihr Leben, wenn Sie mit diesen Menschen zu tun haben! Es kann nicht Aufgabe dieses Reiseberichtes sein, letzte Ursachen für die traurige Entwicklung des größten Teils dieses Kontinents zu ergründen. Mein Misstrauen gegenüber ausschließlich selbstanklägerischen Begründungen Angehöriger der ehemaligen und gegenwärtigen Kolonialmächte möchte ich dennoch nicht verbergen. Ausgenommen sei hier China, dessen zur Zeit unserer Reise noch schamloseres Vorgehen in Afrika und anderswo unzeitgemäß und von keinerlei Skrupeln angekränkelt erschien.
Die Arche ist eine eigenartige Lodge mit eigenartigen Regeln. Niemand darf länger als eine Nacht dort verweilen, niemand darf seine Stimme dort erheben, Flüstern ist Pflicht und Kinder sind überhaupt erst ab einer festgelegten Altersgrenze zugelassen. Besucher erreichen die Einrichtung über einen langen hölzernen Steg und erhalten eine Blockhütten- Schlafstelle mit Etagenbetten zugewiesen. Grund für all diese Einschränkungen ist eine uralte Salzleckstelle. Salz ist überlebenswichtig und für die Wildtiere hier jedenfalls rar, und alle miteinander sind auf Gedeih und Verderb auf Salz angewiesen. Das hat unglaublicherweise zu einer Art stiller Übereinkunft unter den Tieren geführt: An der Leckstelle wird nicht gejagt und niemand frisst den anderen auf, auch Auflauern, Erschrecken und andere Gemeinheiten sind verboten. Nun fällt es einer Löwin oder Hyäne natürlich furchtbar schwer, nicht reinzubeißen, wenn direkt vor ihrer Nase ein Gnu, eine Impala-Antilope oder ein Dikdik Salz leckt. Um derartige seelische Grausamkeiten zu vermeiden, hat man sich also darauf verständigt, nach Gattungen getrennt zur Leckstelle zu schreiten. Schreiten ist richtig, denn alles vollzieht sich mit zeitlupenhafter Langsamkeit und unwirklich geräuschlos. Erst kommen die Büffel, lecken Salz und kacken dicke Haufen auf selbiges. Dann kommen die Elefanten, lecken um die Haufen herum und hinterlassen noch viel dickere Haufen für die Zebras. Danach die Giraffen, die Löwen, die Hyänen, die Rhinos und immer so weiter. Zum Schluss stehen die armen Dikdiks, eine wirklich sehr kleine Zwergantilopenart, kreuzunglücklich zwischen all den Haufen herum. Die Leckstelle ist nachts mit hellen Scheinwerfern erleuchtet, was die Tiere nicht im Mindesten stört.
Foto: Ron Dauphin/unsplash
Für all das gibt es natürlich keinen gedruckten Fahrplan, und deshalb ist in jedem Schlafgemach und im Speiseraum ein diskreter Summer installiert. Einmal Summen heißt Elefant, zweimal Löwe, dreimal Rhino usw., dann stürzen die Leute mit Kameras vom Essen weg oder aus dem Bett in Unterhosen in einen Beobachtungsbunker und lassen ihre Geräte surren, klackern und klicken – wortlos oder leise flüsternd, versteht sich. War unerwartet ein Film abgeknipst, was ein unüberhörbar pfeifendes Rückspulgeräusch auslöste, wurde der errötende Kamerabesitzer giftig angestarrt. Verschiedene Zufälle gestatteten uns, ausnahmsweise zwei Nächte in der Arche zu bleiben. In der Tageszeit zwischen Abreise und Neuankunft der Besucher, in der wir als einzige Fremde erfreulich unbeachtet blieben, staunten wir nicht schlecht: Es war gründlich Schluss mit der Leisetreterei, die Angestellten fuchtelten schreiend mit Feudeln und kreischenden Staubsaugern umher, bewegten krachend blecherne Mülleimer und drehten erleichtert ihre quadrolautsprecherischen Ghettoblaster auf Anschlag. Der Lärm war infernalisch, während draußen der geräuschlose Wechsel der salzleckenden Gattungen weiterging. Den Tieren war all das vollkommen egal. Die seltsame Arche stellt längst keine unmittelbare Gefahr mehr für sie dar (wenn sie sich da mal nicht täuschen!). Uns wurde klar, dass die Flüsternummer nichts anderes bedient als die Sehnsucht der hochmögenden Klientel, mal so richtig der Geheimnisse Afrikas teilhaftig geworden zu sein. Kaum waren sie weg, wurde aufgeräumt. Ganz anders die Samburu-Lodge. Ich kannte und liebte sie, weil ich vor Jahren in der Nähe eine Schlechtwetternotlandung erlebt hatte. Ich war auf dem Weg zum im Dschungel gelegenen Kitich-Camp als Passagier einer Boskovic-Cessna. Das Kitich-Camp befindet sich in einem Talkessel, der einem Vulkankrater mit nur einer seitlichen Öffnung gleicht. Der Pilot brauste hinein und sofort raubten uns Sturzregen und Wolken jegliche Sicht. Er flog auf der Stelle eine enge Kurve, und Gott weiß, wie er es schaffte, ohne Sicht die wieder hinausführende Öffnung zu finden, in der Luft geht alles furchtbar schnell. Er bat mich, eine Reliefkarte zu Rate zu ziehen, weil er in der Nähe einen Airstrip vermutete – das ist nichts anderes als ein kurzes gerades Stück Land ohne Hindernisse, auf dem ein kleines Flugzeug starten und landen kann. Den entdeckte ich schließlich, der Pilot kurvte ein paarmal drum herum, um die Windrichtung zu bestimmen und landete rüttelnd auf der Buschpiste. Ich fand alles ziemlich aufregend. Über Bordfunk auf dem Umweg über Nairobi rief der Pilot Hilfe herbei. Das sollte man sich nicht einfach vorstellen, denn im Rift Valley werden meist Funkstationen mit Autobatterien betrieben und deshalb nur ein oder zwei Stunden täglich eingeschaltet. Schließlich holte uns nach Stunden ein großer Geländewagen ab und brachte uns in die Samburu-Lodge. Es war eine mehrstündige Querfeldeinfahrt mit steilen Uferböschungen und Flussdurchquerungen, die uns zum Aussteigen in brenzligen Raubtierrevieren zwangen. In all der Aufregung war uns das Ankunftsdatum außer Sicht geraten, wir hatten den 31. Dezember, Silvester also. Ziemlich verdreckt und nicht ganz geruchsfrei (unsere mitfliegenden Kinder hatten ordentlich die Kabine vollgekotzt) fanden wir uns mit unserer zweckmäßigen, aber unprätentiösen Kleidung von Lodgegästen umgeben, die sich in Schale geworfen hatten: Die einen staksten im Smoking einher, die anderen hatten sich in „Out-of-Africa“-Kluft gewandet und versuchten, wie Klaus Maria Brandauer drein zu schauen. Alle hielten Champagnergläser in den Händen und wir fühlten uns ein wenig fehl am Platz. Die Samburu-Lodge liegt an einem kleinen beängstigend krokodilverseuchten Fluss, wird von Pavianhorden beherrscht, die den Gang zur Schlafhütte nur nach Steinwürfen freigeben, und frühmorgens ziehen große Elefantenherden durch. Zur Feier des Jahreswechsels gab es ein großes Barbecue mit mächtigen Fleischbrocken von allem denkbaren Tierfleisch. Unmittelbar neben dem Grill lag ein riesiges graugrün bemaltes Holzkrokodil von etwa zweieinhalb Metern Länge, was ich sehr passend fand. Es wurde herumgeknallt, der Jahreswechsel begrüßt, Vorsätze wurden gefasst, Beziehungskrisen vertieft und getanzt wurde natürlich auch. Am folgenden Morgen war alles ordentlich aufgeräumt und auch das Krokodil war weg, was ich angesichts des von mir vermuteten Gewichts bemerkenswert fand. Ich fragte einen der Bediensteten nach dessen Verbleib. Er gab mir vielbeschäftigt eine flüchtige Antwort über die Schulter. Ach ja, das Krokodil, das komme schon seit Jahren immer beim Barbecue und verschwinde dann wieder, wenn es die Reste aufgefressen habe. Meine Güte, ich hatte sogar Antilopenfleisch kauend einen Fuß auf das Biest gesetzt!
Gestrandet in der kenianischen Wildnis
Jetzt waren wir also wieder da und verjagten abermals die Paviane mit Steinwürfen; oft reicht es, sich zu bücken und so zu tun, als ob man einen Stein aufhebt. Ein vielleicht siebzehnjähriger Samburu-Krieger begleitete uns auf einen Ausflug mit unserem Auto in die nähere Umgebung, und als wir uns einer Gruppe dösender Löwinnen näherten, passierte es: Der Wagen fuhr sich in einer Sandkuhle fest. Ich schaltete den Allradantrieb zu und der Motor heulte im Leerlauf. Das Getriebe war in Zwischenstellung gerutscht, der Hebel saß fest und das Auto war antriebslos. Was jetzt? Wir hatten kein Wasser mehr und es wurde heißer und heißer. Wir warteten. Die Löwinnen warteten auch und hatten die besseren Nerven. Nach zwei Stunden war es unser Samburu leid. Er stieg aus und rannte im Laufschritt – nur mit Speer und Keule bewaffnet – zur Lodge zurück. Die Löwinnen würdigten ihn keines Blickes. Puh, der Mann hatte Mut. Ein Geländewagen schleppte uns zurück und am übernächsten Tag erschien der von mir telefonisch beschimpfte Autoverleiher mit einem Mechaniker. Er lieh sich erst mal Benzin- und Verpflegungsgeld von mir, das ich ihm zähneknirschend bewilligte, denn er hatte uns in der Hand. Tatsächlich schafften sie es, das Auto wieder fahrbereit zu machen, allerdings nur im Zweiradantrieb, was uns später in der Massai Mara in eine verteufelte Situation bringen sollte.
Foto: Hu Chen/unsplash
Man hatte uns gesagt, die Strecke sei schlecht, und wenn Kenianer so etwas sagen, dann hat man es mit einer steilen Herausforderung zu tun. Es fing ziemlich harmlos an, aber ab Ntulele ging’s los. Pisten sind unasphaltierte Straßen, die mal besser und mal schlechter und mal auch miserabel sein können, besonders, wenn es geregnet hat. Das Schlimmste aber sind zerschlissene ehemals asphaltierte Straßen; die sind einfach unpassierbar. Die einstmals erstklassigen Fernstraßen sind inzwischen derart vernachlässigt, dass jede Verkehrsinfrastruktur des Landes nahezu zusammengebrochen ist. Es bleibt nur, nebenher irgendeine Spur zu finden, die von den Lastwagen in das Gelände gewalzt wurde. Doch nun begann es zu regnen und die verbliebenen Fahrspuren lösten sich in Morast auf. Die Lastwagen fuhren also tiefe Furchen in den Schlamm und es galt, auf den Kämmen dieser Furchen zu bleiben, sonst würde das Auto auf ewig feststecken. Das war ziemlich aufregend und wir rutschten verzweifelt konzentriert über die Furchenkämme. Unser Ziel war das Mara Sarova Camp, aber nun war es schon 17:30 Uhr, gleich sollte es schlagartig dunkel werden – und dann sollte man in Kenia nicht mehr unterwegs sein.
Als nächstes folgte eine Pfütze, die sich zum See erweitert hatte, Weiterfahrt war sinnlos. Wir hatten vor einer Viertelstunde einen Hinweis auf eine „Siana Lodge“ gesehen. Ich wendete den Wagen, denn wir wollten verdammt nochmal keinesfalls die Nacht in diesem Nationalpark ohne Wasser- und Nahrungsvorrat im Auto verbringen. Etliche Male hatten wir schon festgesteckt und uns mit schnellem Hin- und Herschalten zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang wieder herausgeschaukelt. Oh Gott, hätten wir doch bloß Allradantrieb gehabt! Dann sah Ulrike Lichter in der Ferne, das musste die Siana-Lodge sein, vielleicht zwei Kilometer entfernt. Bloß nicht anhalten, in Schwung bleiben, Vollgas! Schließlich standen wir vor einem Gewässer, das quer über die Piste floss, höchstens einen knappen Meter breit, das Tageslicht war weg. Die Lodge war nur noch 500 Meter weit weg, aber zu Fuß unerreichbar, falls wir uns nicht in Lebensgefahr begeben wollten. Abenteuer zu erleben, kann im Nachhinein eine schöne Erfahrung sein, ist aber im Augenblick des Geschehens absolut nichts Wünschenswertes. Wir beschlossen, die Sache zu Ende zu bringen und den Graben zu überspringen, falls unsere Scheißkarre das noch mitmachen würde. Ich fuhr den getriebelahmen Wagen 50 Meter zurück und ach, jetzt könnten ein paar Mantras nicht schaden. Vollgas, der Wagen sprang tatsächlich über den Graben, ich stieß hart mit dem Kopf an den Rahmen, der Beifahrersitz brach unter Ulrike zusammen und – wir waren in der Siana-Lodge! Zwei Helfer rissen uns das Gepäck aus der Hand und brachten es in unser Zelt, wir blieben gleich in der Bar am Eingang und leisteten uns den ersten Gin Tonic; was für eine Fahrt! Ein Feuer wurde entzündet, wir nahmen den zweiten Drink, während die Küche zum Leben erwachte. Kleine dicke Felltiere – von den Einheimischen „Baumelefanten“ genannt – stritten sich in den Bäumen und purzelten wie Clowns aus den Ästen herunter und wir waren glücklich. Zum Essen erlaubten wir uns einen anständigen Weißwein, es wurde spät und um 13 Uhr des Folgetages weckte uns brütende Hitze in unserem Zelt.