Mit dem Geländewagen von Deutschland bis nach Indien. Mathias Vatterodt erfüllte sich diesen Traum und erlebte auf seiner Overland-Reise zahlreiche unvergessliche Abenteuer. Seine unbändige Neugier führte ihn unter anderem in die entlegensten Gegenden des Kaukasus, durch die schier unendlichen Weiten des Irans, in die schwindelerregenden Höhen des Himalaya und durch den geheimnisvollen Dschungel Südostasiens. „Wild Road Trip: Der lange Weg nach Indien“, das Buch zur Reise, erscheint im September 2019 im MANA-Verlag. Einen kleinen Vorgeschmack gibt es schon jetzt.
Reza lernten wir in Teheran, der Hauptstadt des Iran, auf einem Couchsurfing-Meeting kennen, das uns Bayan empfohlen hatte. Wir saßen in einem kleinen Raum im Stuhlkreis, zusammen mit 15 anderen jungen Leuten. Sie trugen sich gegenseitig selbst verfasste Gedichte vor, musizierten und sangen Lieder. Zu gern hätten wir die Sprache verstanden. In der Pause sprach uns Reza direkt an und erzählte, was es alles in der Stadt zu sehen gäbe. Er berichtete von einer öffentlichen Theateraufführung in der Nähe und lud uns ein, diese mit ihm anzuschauen. Reza war ein sehr gesprächiger junger Mann, 29, mit einem gepflegten Äußeren. Er arbeitete für ein iranisches Telekommunikationsunternehmen und hatte gerade Feierabend. Und diesen verbrachte er am liebsten mit Ausländern und Reisenden. Schon kurz nach der Theateraufführung standen einige junge Iraner um uns herum, erkundigten sich nach unserem Herkunftsland und schimpften über ihr eigenes. „Die Situation im Iran wird sich sehr bald ändern. Immer weniger junge Iraner sind religiös“, meinte einer im Heavy-Metal-Look. „Du kannst nicht nur die Menschen um dich herum betrachten. Es sind wohl noch sehr viele junge Menschen religiös. Wenn es eine Veränderung gibt, dann nur sehr langsam“, reagierte ein anderer, stets strahlender Iraner. Für uns war es sehr spannend, diese Diskussionen zu verfolgen, und wir fragten uns, in welche Richtung sich das Land wohl entwickeln würde.
Foto: Mathias Vatterodt
Zwei Tage später trafen wir Reza im 250 Kilometer entfernten Kashan erneut. Es war Donnerstagabend und somit Wochenende. Im Iran ist der Donnerstag mit dem Samstag und der Freitag mit dem Sonntag der westlichen Welt zu vergleichen. Donnerstags müssen einige Menschen arbeiten gehen, wohingegen der Freitag arbeitsfrei ist. Da Reza noch arbeiten musste und wir uns bereits am Morgen von Teheran aus auf den Weg gemacht hatten, war er uns hinterher gereist. Wir schafften es auch gerade so aus der Stadt zur nächsten Tankstelle. Meiner Berechnung nach hatte ich nur noch zwei Liter Diesel im Tank.
Die zwei Nächte auf der „Couch“ in Teheran waren nicht sonderlich gemütlich gewesen und so suchten wir für die kommende Nacht ein Hostel auf. Da wussten wir noch nicht, welch ereignisreicher Tag uns bevorstand. Reza zog hingegen bei einem Couchsurfer ein. Dieser war dabei, einen alten persischen Garten in der Wüste wieder aufzubauen, und nahm Couchsurfer im fertiggestellten Teil seiner Gartenanlage auf. Da der Couchsurfer etwas außerhalb von Kashan wohnte, kam sogleich Hossein, ein anderer Couchsurfer aus dem Dorf, mit seinem Auto nach Kashan, um Reza abzuholen. Wahnsinn, wie die Community im Iran funktionierte! Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, um gemeinsam in die Wüste zu fahren. Für unsere Wüstentour sammelten wir noch Hossein ein. Er war Touristenführer und wusste sehr viel über die Region. Wir räumten die Sitzbank frei und fuhren nun zu fünft im Auto tief in die Wüste. Hossein zeigte uns einen Weg, auf dem wir am Nationalparkposten vorbeikommen würden und uns somit den Eintritt sparen konnten. Auf sandigen Wüstenstraßen schlitterten wir zu einer alten Karawanserei. Karawansereien waren zu Zeiten der berühmten Seidenstraße Orte, in denen Handelskarawanen auf ihrer Reise Rast einlegten, schliefen, ihre Kamele mit Futter versorgten und auch den einen oder anderen Handel abschlossen. Wir waren schon tief in die Wüste vorgedrungen, als uns auf dem Weg freilaufende Dromedare entgegen kamen. Dann tauchte wie eine Fata Morgana die Karawanserei vor uns auf, dahinter zeichneten sich die Hügel einer sehr großen Sanddünenlandschaft bereits ab. Da mussten wir natürlich sofort hin! Doch beim Versuch, über eine der kleinen Dünen zu brausen, fuhr ich mich direkt fest. Fahren im Sand muss man üben! Also musste der Klappspaten zum Einsatz kommen, dazu gab es ja vier kräftige Männer. Die große Sanddüne mussten wir dann also zu Fuß erklimmen, was sich allerdings durchaus lohnte. Der Blick über die Wüsten- und Dünenlandschaft war atemberaubend. Die Sandberge reichten bis zum Horizont. Ein warmer Wind blies uns den Sand ins Gesicht, den wir uns wie Schlafsand aus den Augen rieben. Wenig später fuhren wir dann auf einer Stichstraße über den angrenzenden Salzsee, der in den Sommermonaten trockenliegt und dann auch befahrbar ist. In der Mitte des Sees fanden wir einen halb ausgebrannten LKW vor, der in der Nacht zuvor Feuer gefangen hatte. Der Fahrer hatte sich retten können und wartete nun im Schatten seines versehrten Anhängers inmitten der Wüste auf Hilfe. Das war wohl nicht sein Tag. Dasselbe musste Ben am Ende des Tages auch gedacht haben.
Unser Ausflug ging weiter nach Abyaneh, einem als malerisch beschriebenen Ort in den Bergen auf dem Weg nach Isfahan. Zuvor hatten wir noch Hossein in Kashan abgesetzt, nun war nur noch Reza mit uns unterwegs. 20 Kilometer vor unserem Ziel passierten wir ein mit Flugabwehrstationen gesichertes Gelände. Das war einer der Gründe, warum Iran lange Zeit von der Weltwirtschaft isoliert war und mit vielen Sanktionen bestraft wurde: die Urananreicherungsanlage bei Natanz, die komplett unterirdisch gelegen und streng bewacht war. Wir sahen zu, dass wir die Kameras schnell versteckten, Fotoaufnahmen hätten uns in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können. Erst 2017 war ein deutscher Video-Blogger fast zwei Monate lang im Iran festgehalten worden, nachdem er mit einer Drohne Landschaftsbilder und mit der Videokamera Bilder einer Raffinerie aufgenommen hatte. Der Vorwurf: Spionage.
Foto: Mathias Vatterodt
In Abyaneh stellten wir das Auto ab und erkundeten das Dorf. Dort zeigte uns Reza ein bekanntes traditionelles iranisches Gericht: Dizi. Eine Schmorfleischsuppe, serviert im Tontopf. Mit gefülltem Magen ging es zurück zum Auto und dort drehte sich selbiger fast um. Das Auto war aufgebrochen worden. Unsere drei Tagesrucksäcke fehlten. Während in meinem Rucksack nur Waschtasche und Reiseführer einen echten Verlust darstellten, mussten Konrad und Ben beide den Verlust von jeweils 400 Dollar beklagen, die in ihren Tagesrucksäcken verstaut waren. Noch viel schlimmer hatte es Ben getroffen. Dieses eine Mal hatte er seinen Reisepass im Rucksack gelassen. Der war nun verschwunden. Bei meinem Tagesrucksack mussten sich die Diebe anfangs besonders über den Inhalt gefreut haben, denn das Gewicht fühlte sich gewinnbringend an − jedoch nur aufgrund einer Wassermelone, die wir kurz vorher gekauft hatten. Die Diebe hatten mit einem Schraubenzieher das Schloss aus der Beifahrertür gerissen und sich so Zugang zum Auto verschafft. Nachdem wir den Verlust unserer Tagesrucksäcke bemerkt hatten, fiel mir ein, dass sich mein Pass im abgeschlossenen Handschuhfach befand. Mir wurde übel. Wenn der Pass weg sein sollte, konnte ich meine geplante Reise sofort abbrechen. Die Visa für Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und China waren darin. Diese würde ich niemals so schnell wieder bekommen. Der China-Transit und die dafür hinterlegten 2200 Euro waren in meinen Augen dahin. Eilig und mit zittrigen Händen öffnete ich mit meinem Autoschlüssel das Handschuhfach. Der Pass versteckte sich zwischen einigen Zetteln. Aber er war da. Was für ein Glück!
Reza war für uns in den nächsten Stunden ein echter Glücksfall. Er dolmetschte zwischen den herbeigeeilten Polizisten und uns, erklärte die nächsten Schritte und entschuldigte sich alle zwei Minuten. Es war ihm unglaublich peinlich, dass uns in seinem Land so etwas passierte. Und wir waren ja nicht ganz unschuldig. Die freundlichen Leute und das Gefühl von Sicherheit im Iran hatten uns nachlässig werden lassen. Niemals und nirgendwo auf der Welt sollte man sichtbar im Auto Wertsachen liegen lassen. Es war eine Lehre für mich. Die nächsten Monate wollte ich mich vor ähnlichen Situationen hüten.
Die Polizisten forderten uns auf, ihnen zur Wache einige Orte weiter zu folgen. Das war einfacher gesagt als getan, denn sie bretterten die Bergstraßen in einem so rasanten Tempo herunter, dass ich Mühe hatte, ihnen zu folgen. Zudem hatte ich nach dem Schock auch keine Lust zu rasen. Ben versuchte, die Deutsche Botschaft ans Telefon zu bekommen, doch immer wieder brach der Kontakt ab. Die Nerven lagen blank. Es war bereits dunkel, als wir auf der Polizeiwache ankamen. Am Eingang öffnete uns ein Polizist mit Maschinengewehr das Tor. Das Auto musste draußen stehen bleiben. Zwar war uns dabei etwas unwohl, da nunmehr jeder ganz einfach über die Seitentür in das Auto gelangen konnte, allerdings garantierte uns der Wachmann, das Auto zu beschützen. Die Wache war spartanisch eingerichtet, die anderen Polizisten gut gelaunt. Endlich gab es etwas Abwechslung. Aber wir konnten auch erkennen, wie unangenehm der Fall den Polizisten war. Immer wieder entschuldigten sie sich bei uns, reichten uns Tee und Instantkaffee und boten uns auch Essen an. Das Essen lehnten wir jedoch freundlich ab, der Hunger war uns vergangen. Auf dem regionalen Polizeiposten nahmen die Beamten mit Rezas Hilfe alles ganz genau auf. Reza übersetzte uns, dass es wohl der erste Vorfall dieser Art in der Region gewesen sei und die Polizisten vermuteten, dass uns jemand gefolgt sei. Die Kollegen seien gerade dabei, bekannte Kleinkriminelle in der Region zu vernehmen und nach den verloren gegangenen Sachen zu suchen. Zwei lange Stunden verbrachten wir auf dem Revier, wiederholten alles zwei-, dreimal und Reza übersetzte fleißig. Dann war alles aufgenommen und wir wurden entlassen. Das hatten wir zumindest gedacht. Der Polizist erklärte mit Rezas Hilfe, dass wir am nächsten Tag im 15 Kilometer entfernten Natanz auf die Polizeiwache gehen sollten. Dort befände sich die überregionale Außenstelle. Der Vorfall sollte dort geschildert werden, damit Ben ein Dokument für die Botschaft bekommen könnte, das bestätigte, dass sein Reisepass gestohlen wurde. Wenigstens hatte der Polizeichef persönlich für uns eine kostenlose Unterkunft in einem Hotel nahe der Polizeiwache in Natanz besorgt. Trotz des Ärgers staunten wir, wie sehr sich die Beamten um uns kümmerten.
Foto: Mathias Vatterodt
Da mein Schloss noch immer kaputt war, fragte ich, auf der Polizeiwache in Natanz nach, ob ich nicht mein Auto in das Innere der Wache abstellen könnte. Dies wurde mir jedoch verwehrt, und so parkte ich zwei Zentimeter entfernt an einer Mauer, genau vor der Polizeiwache, in der Hoffnung, dass sich über Nacht keiner Zugang zum Pajero verschaffen würde. Was für ein Tag, das hatten wir uns am Morgen nicht so ausgemalt.
Als der neue Tag angebrochen war, begann für uns das Spiel auf’s Neue. Wieder mussten wir alles detailgetreu zu Protokoll geben, auf zwei unterschiedlich ranghohe Beamte warten, das kaputte Schloss zeigen, Fragen beantworten. Nach weiteren drei Stunden auf dem Revier wurden wir zu einer dritten Behörde geschickt, dem iranischen Geheimdienst. Dieser stellte uns schließlich das Dokument für die Botschaft aus, das Ben so dringend brauchte. Ben versuchte mit Reza vergeblich, in einem Reisebüro seine Airline zu erreichen. Sein Flug wäre zwei Tagen später von Isfahan gegangen, aber zunächst musste er fast 400 Kilometer zurück nach Teheran fahren. Es war Sonntag − und sonntags arbeitete keiner in der Deutschen Botschaft. Es war also sehr unwahrscheinlich, dass er den Flug bekommen würde.
Ich ließ inzwischen von einem Schlosser das Türschloss reparieren. Es funktioniert bis heute, auch wenn die Zentralverrieglung beim Aufschließen der Beifahrertür nun nicht mehr greift. Eilig mussten wir uns von Reza und Ben verabschieden, denn Reza hatte einen Bus nach Teheran ausfindig gemacht, der bald losfahren sollte. Er fuhr zusammen mit Ben, denn er musste ja Montag wieder arbeiten. Es war schade, sich unter solchen Umständen von Reza zu verabschieden. Wir hatten so eine gute und lustige Zeit. Und ohne seine Hilfe hätten wir den ganzen Bürokratie-Kram nicht geschafft.
Konrad und ich hingegen düsten nach Isfahan und fanden eine Stunde vor Ladenschluss eine Zweigstelle von Bens Fluggesellschaft. Diese zeigte sich sehr kulant und buchte den Flug kostenfrei um, sodass Ben zwei Tage später fliegen konnte. Und da dieser Flug günstiger war, sollten ihm sogar noch 150 Euro zurück überwiesen werden.