Fidschi – Singende Riesen

Fidschi – Singende Riesen


Rolf Stärk ist ein Globetrotter, wie er im Buche steht. Ob Sansibar, Syrien oder Spitzbergen: kein Weg war zu weit, kein Ziel zu ausgefallen, keine Herausforderung zu groß. Dutzende Länder rund um den Globus hat der Kölner in den vergangenen Jahrzehnten bereist, viele davon mit seiner Frau Ulrike und seinen beiden Hunden Vasco und Balou.

Im Rahmen unserer neuen Serie „Fernsucht“ veröffentlichen wir alle zwei Wochen einen Auszug aus dem gleichnamigen E-Book, das noch 2019 erscheinen wird. Lesen Sie in Folge 2, wie Stärk und seine Gefährtin Ulrike 1996 die Fidschi-Inseln erkunden, welche Abenteuer die beiden auf Castaway Island erleben – und wie der Kapitän eines U-Boots bei einem Ausflug kurzerhand über Bord geht…


Zurück ins Jahr 1996 und nach Neuseeland: In Christchurch (eine Stadt, die mir in etwa so metropolitan wie – sagen wir – Bergheim an der Erft erschien), studierten wir wieder die Flughafen-Abflugtafel. Die Neuseeländer sind unsere Antipoden, d.h., dass man von unserer Heimat einfach nicht weiter wegreisen kann. Wohin man sich auch wendet, wie weit auch immer, es führt einen immer nur näher an Zuhause heran. Wohin also jetzt?

Um 14:50 Uhr hatte eine Maschine Plätze nach Suva auf Fidschi frei. Gute Idee, wir sind schließlich Kölner und da weiß man, dass eine der populärsten (und fülligsten) Kölner Volksschauspielerinnen und Sängerinnen, Trude Herr (die übrigens zu den intimsten Kennerinnen der Sahara gehörte), auf Fidschi mit einem dicken Häuptling ihre letzten Jahre verbracht hat. Also nichts wie hin.
Suva ist eine freundliche, erstaunlich moderne und – wie wir fanden – enttäuschend unsüdseehafte Stadt, wenn man vom mordstropischen Klima mal absieht, vor allem aber gibt es das zuverlässigste Postamt der ganzen Welt. Man ging da rein in einer Art Dritte-Welt-Erwartung und fand das vor, was unsere Post-AG erst 15 Jahre später fertigbrachte, nämlich einen perfekten Postkaufladen. Außer Joghurt und Bahnfahrkarten (es gab weder Joghurt noch eine Bahn auf Fidschi) wurde praktisch alles zum Kauf angeboten. Wir verschickten ein dickes Paket mit Reiseerwerbungen nach Deutschland, das vier (!) Tage später dort unbeschädigt ankam.

Aber uns war nach mehr Südsee pur zumute, und so beschlossen wir, eine der vielen Inseln zu erkunden. Castaway Island klang vielversprechend, also bestiegen wir ein Schiff dorthin. Kaum hatte es abgelegt, begann eine wilde Schaukelei, was immer ein Anlass ist, diskret nach Sicherheitseinrichtungen zu schielen (man will ja nicht ängstlich erscheinen). Zunächst fiel der Rost auf, mit dem das Schiff überzogen war, das hatte im Hafen noch ganz anders ausgesehen. Ich beäugte die Rettungsboote, zwei an der Zahl, was bei – laut Werftplakette – immerhin 650 zugelassenen Passagieren nicht übertrieben anmutete. Deren Davits (Aufhängevorrichtungen) und Winschen (Kurbelgetriebe) waren wiederum über die Jahrzehnte derart mit Farbschichten zugekleistert, dass an irgendeine Möglichkeit des Zuwasserlassens nicht zu denken war. Ein Seitenblick auf Ulrike verriet mir, dass sie die Seefahrt genoss und sich keinen Deut um meine Hasenfüßigkeit scherte.

Fidschi – Singende Riesen

Die Fidschi-Inseln bieten Entspannung pur. Allerdings verlieren immer mehr Inseln ihren ursprünglichen Charakter. Foto: Dean McQuade/unsplash

Auf See kann ein Mann sehr einsam sein. Dann fiel mein inzwischen unsteter Blick auf große Panzerklappen, die rund ums Schiff an den Innenbordseiten angeordnet waren. Sie waren unzweideutig und mit großen Buchstaben mit dem Wort LIFEVESTS beschriftet. Na also. Das mussten hunderte von Rettungswesten sein. Im Falle des Kenterns in diesen warmen Gewässern ist man natürlich mit so einer Rettungsweste viel schneller vom sinkenden Schiff als mit einem festlackierten Rettungsboot.

Jetzt war der Punkt erreicht, an dem der Gedanke an Haie nahe gelegen hätte, aber da marschierten just vier Besatzungsmitglieder auf, die zunächst durch ihr Äußeres von düsteren Visionen ablenkten: riesenhaft, außergewöhnlich dick und überaus fröhlich. Sie knufften sich in die Seiten, stießen hell kreischende Laute aus und riefen einander tiefdröhnende Sätze zu. Dann öffneten sie die Lifevest-Klappen. Dahinter gab es ersichtlich Bongos und Gitarren in großer Zahl, aber keine Rettungswesten. Dann stimmten die Herren einen vierstimmigen Gesang an und das war so schön, dass wir alles andere vergaßen. Ich musste an Odysseus und die Sirenen denken und mir wurde klar, warum die Besatzung der „Bounty“ gemeutert hatte.

Ich finde es unglaublich, was die Südseevölker geleistet haben: Über Tausende von Kilometern – von den Maori in Neuseeland bis in ein Gebiet, das wir erst später kennenlernen würden – hatten sie mit lächerlich kleinen Booten die gesamte Südsee erobert und waren imstande, den überlegenen Waffen der englischen Eroberer lange Widerstand zu leisten.

Als das Schiff auf Castaway Island anlegte, wurden wir wieder mit vielstimmigen Gesängen empfangen, die diesmal den Goldkehlen von etwa 30 Riesen und Riesinnen entstammten – wie sich herausstellte, war das die halbe Servicemannschaft des Resorts, die abwechselnd jeweils Neuankömmlinge anzusingen hatte, denn im Grunde ist die kleine Insel nichts als ein sündhaft teurer und auf amerikanische bzw. australische Bedürfnisse zugeschnittener Ferienklub mit luxuriös ausgestatteten Bambushütten. Sicherlich sind diese auf jene Art primitiv, dass jemand aus – sagen wir Denver oder Adelaide – Daheimgebliebenen schaudernd von der fehlenden Klimaanlage erzählen könnte und davon, dass die Fenster nicht einmal verglast seien – ganz zu schweigen vom nicht vorhandenen Whirlpool, ein Aufenthalt in lebensfeindlicher Wildnis also, aber es gibt TV-Geräte mit allen angelsächsischen Kanälen, rollstuhlgerechte Zugänge und Telefone an den King- und Queensizebetten, die auf einfachen Tastendruck den Roomservice, das Frühstück oder den englischsprechenden Kardiologen erscheinen lassen. Moskitos oder Schlangen sindder Insel fremd. Für uns also genau das Richtige.

Es sei aber nicht verschwiegen, dass das Klima das Vergnügen etwas beeinträchtigte: 39 Grad im Schatten hört sich nicht weiter schlimm an, aber bei einer Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent läuft von Sonnenauf- bis -untergang der Schweiß über Stirn, Gesicht und Augen, und zwar derart, dass man den dringenden Wunsch verspürt, den zentralgelegenen Postkartenkiosk aufzusuchen, der als einziges Gebäude der Anlage klimatisiert ist. So standen wir also mehrmals täglich im Kiosk und studierten mit unermüdlicher Ausdauer Ansichtskarten. Spätestens eine halbe Stunde vor der Dinnertime um 18 Uhr pflegte man sich in eine Warteschlange einzureihen, um einen der begehrten Tische unter den Deckenventilatoren zu ergattern, die den Schweiß von der Stirn trockneten, bevor er auf die Vorspeise tropfen konnte.

Schön war es aber auch, das muss gesagt sein. Abends saß man ums Feuer, während mit viel zeremoniellem Brimborium Kava herumgereicht wurde, eine Brühe, die eine einheimische Droge sein soll, in Wahrheit aber nur die Zunge taub macht, was eindeutig das Zigarettenrauchen beeinträchtigte. Tagsüber konnte man am Strand dösen – gut, das hätte man auch in Wyk auf Föhr tun können – und kostenlos einen Katamaran segeln, was ich ebenso ausgiebig nutzte wie Ulrike die Strand-Döse-Option. Träge blinzelnd verfolgte sie meine Törns, die hin und her zwischen Strand und einer kleinen Insel führten. Ihr war aufgefallen, dass das Boot sich niemals auf die Seite legte, sondern stets aufrecht segelte. Sie öffnete ihr zweites Auge, was höchstes Interesse signalisierte, und ließ mich wissen, dass so ein steiles Segelboot sie nicht ganz kalt ließe, falls mir nach einer Einladung zumute sei.

Natürlich kenne ich ihr berechtigtes Misstrauen gegenüber kleinen Booten in offenen Gewässern und fühlte mich sehr geschmeichelt. Galanter hätte meine Einladung nicht einmal Casanova hingekriegt. Mit spitzen Zehen stieg Ulrike auf das Boot und ließ sich vorsichtig auf das Netz zwischen den Schwimmkufen gleiten. Ich segelte los, und während sie wohlig im Netz räkelnd das Großsegel betrachtete, fragte sie beiläufig, wie tief das Wasser hier wohl sei. Verflucht sei mein unüberwindlicher Zwang zur Wahrheit! „Na ja, der Marianengraben ist nicht weit, schätze zwischen vier- und sechstausend Meter“, brummte ich, nicht ahnend, wo sich der Marianengraben wirklich befand und wie tief der war, Hauptsache, es hörte sich gescheit an. Das war’s dann: „Ich will auf der Stelle an Land!“. Letzte gemeinsame Törns können ungeheuer endgültig sein, es sei denn, man vertraut sich dem schnellsten Daycruiser der Südsee oder einem Semisubmarine an. Beide waren zufällig auf Fidschi beheimatet, und uns gelüstete, sie auszuprobieren, denn der Aufenthalt in einem Luxusresort kann auch ganz schön langweilig sein.

Castaway Island ist ein beliebter Anlaufpunkt bei Südseetouristen. Foto: Heinz Albers/Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Der Daycruiser war ein langes, hinten offenes Schnellboot und mit zwei Außenbordmotoren bestückt. Jeder leistete sage und schreibe 300 PS, was dem Boot die Geschwindigkeit eines Rennwagens verlieh. Mal donnernd durch die Südsee zu pflügen, erschien uns genau richtig, und so schifften wir uns ein. Von wegen pflügen! Das Ding jagte wie ein Jet durch die Luft und berührte nur schrecklich krachend die höheren Wellenkämme. Bandscheibenvorfälle dürften zu den häufigsten Folgen dieser Art von Seefahrt gehören. Wir waren damit beschäftigt, uns irgendwo festzukrallen und zu sehen gab es nichts, weil wir nur durch eine Wand aus Gischt knallten, während der Fahrtwind uns die Wangen hinter die Ohren blies und unsere Gesichter zu grotesken Fratzen verzerrte.
Ruhiger ging es da schon auf dem Semisubmarine zu. Semisubmarine heißt wörtlich „Halbunterseeboot“ und ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Heutzutage sind diese knallgelben Gefährte an jedem dritten Ferienstrand zu sehen und meist gelb gefärbt, vermutlich in Anspielung auf den Beatles-Song „Yellow Submarine“. Offenbar erwarten die Leute deshalb, dass U-Boote gelb zu sein haben. Damals war es eine einzigartige Attraktion, die wir keinesfalls verpassen durften. Im Grunde handelte es sich um eine Weiterentwicklung der Glasbodenboote und wurde für Menschen gebaut, die zum Tauchen zu feige sind – einer Zielgruppe mithin, der ich mich leidenschaftlich verbunden fühle. Man stand auf dem gelben Deck herum, bis von einer kreischenden Alarmhupe, die man aus amerikanischen Marinekriegsfilmen schon kannte, zum „Tauchgang“ gequäkt wurde. Sodann begab man sich unter Deck in eine finstere Röhre mit Sitzplätzen, die unter der Wasserlinie angeordnet und mit runden Bullaugen versehen waren. Man blickte fasziniert in die von starken Scheinwerfern erhellte Unterwasserwelt und war froh, da draußen nicht herumtauchen zu müssen. Auf Fidschi immerhin schien sich der U-Bootschwindel herumgesprochen zu haben, denn wir beide waren die einzigen Passagiere auf unserer Fahrt. Die Mannschaft bestand aus nur einem beleibten Riesen, der Kapitän, Rudergänger, Fahrkartenabreißer und Matrose in einer Person war. Außerdem kommentierte er in wenig verständlichem Englisch über eine Verstärkeranlage das, was man unter Wasser anzuschauen hatte, und im Hintergrund wurden U-Bootgeräusche eingespielt. Wie er das anstellte, war mir ein Rätsel, denn wie konnte er wissen, was da unter Wasser vor sich ging, wenn er oben das Boot steuerte?

Nach einer knappen Stunde schien er die Lust an seinem sportreporterartigen Gerede verloren zu haben und verstummte. Wir wollten uns gerade über die Ruhe freuen, da schreckten wir auf: Unmittelbar vor unserem Bullauge erschien plötzlich ein Gesicht mit einer großen Taucherbrille. Es gehörte dem Riesen, der ins Wasser gesprungen war, um zu unserer Erbauung aus einem an seinem Gürtel befindlichen Beutel Fische zu füttern. Wir waren nur mäßig begeistert, denn uns war klar: Wir steckten im Inneren eines U-Bootes, dessen Kapitän und einziges Besatzungsmitglied soeben über Bord gegangen war.

Ich hoffe inständig, dass es noch Südseeinseln gibt, die – anders als Fidschi – ihre Ursprünglichkeit wenigstens in Teilen bewahrt haben. Sie müssen ja nicht gleich so daher kommen, wie James Cook sie einst vorfand. Ich weiß auch nicht, ob ich dann dahin reisen würde, denn jenseits aller Legendenbildung über die paradiesischen Zustände dort, zu der auch der Maler Paul Gaugin – allerdings auf Haiti in der Karibik – beigetragen hatte, dürfte für die Ureinwohner das Leben dort ziemlich brutal und blutig gewesen sein. Wir fanden jedenfalls andere Bereiche des Tropengürtels in Mittelamerika, Afrika und Asien weitaus interessanter und beschlossen, weiter zu ziehen.


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