Rolf Stärk ist ein Globetrotter, wie er im Buche steht. Ob Sansibar, Syrien oder Spitzbergen: kein Weg war zu weit, kein Ziel zu ausgefallen, keine Herausforderung zu groß. Dutzende Länder rund um den Globus hat der Kölner in den vergangenen Jahrzehnten bereist, viele davon mit seiner Frau Ulrike und seinen beiden Hunden Vasco und Balou.
Im Rahmen unserer neuen Serie „Fernsucht“ veröffentlichen wir alle zwei Wochen einen Auszug aus dem gleichnamigen E-Book, das noch 2019 erscheinen wird. Lesen Sie in der ersten Folge, wie Stärk nach nervenaufreibenden Stunden am Flughafen im neuseeländischen Auckland ankommt und welches rätselhafte Ritual die Bewohner von Karamea durchführen, um sich fürs Rugbyspiel fit zu halten …
Nach endlosem Nichtraucherflug (damals gab es noch Flugzeuge mit Raucherzone, aber nicht nach Neuseeland via Sydney) Landung in Auckland. Ich hatte mir die Entzugserscheinungen schlimmer vorgestellt: Zittern, Schweißausbrüche, Herzrasen, Erektionen, Durchfall. Stattdessen: Halluzinationen, Kicheranfälle, weise Gedanken. Dennoch freute ich mich nach zwölf Stunden auf eine Zigarette, aus der aber nichts wurde. Die Immigrationsbeamten kündigten uns nämlich an, uns mit der nächsten Maschine nach Bangkok zurückzuschicken. Donnerwetter, was für ein Empfang, dachte ich, fehlen nur der rote Teppich und eine Blaskapelle.
Die Abflugkontrolle der Thai-Air in Bangkok hatte versäumt, uns auf die Notwendigkeit eines „on-going tickets“ hinzuweisen. Neuseeland will die Garantie, dass ansonsten durchaus geschätzte Reisende irgendwann dieses Land wieder verlassen und dazu müssen sie ein Ticket vorweisen, das aus dem Land wieder raus führt. Das hatten wir nicht. Blöd, dachte ich, noch mal zwölf Stunden, das macht 24 Stunden ohne eine einzige Zigarette. „Wann ist denn dieser Rückflug?“, wollte ich wissen. Der Beamte betrachtete mich schläfrig, aber nicht unfreundlich. „In eineinhalb Stunden. Qantas. Sie dürfen den Transitbereich nicht verlassen.“ Das war der Tipp, der uns gefehlt hatte. Zwischen uns und dem Abflugbereich lagen nur eine Rolltreppe, die in Gegenrichtung fuhr und ein Behindertenaufzug, und der fuhr in beide Richtungen. Im Abflugbereich gab es ein Büro von British Airways. Dort kauften wir zwei Linientickets nach London, die wir im Verlauf der weiteren Reise immer wieder umschreiben lassen würden, das Geld erhielt ich später in Köln zurück; damit war das Problem gelöst.
Erster Eindruck von Auckland: ziemlich provinziell trotz einiger nicht durch besondere Architektur auffallender Hochhäuser, aber freundlich. Zweiter Eindruck: verdammt provinziell, aber durchaus einladend. Unten am Hafen gibt es eine Terrasse mit guten Meeresfrüchten und einem ganz hervorragenden neuseeländischen Weißwein mit dem Namen „Marlborough“.
Die Skyline von Auckland, aufgenommen am Mount Eden. Foto: Henry McIntosh/Unsplash
Wir mieteten natürlich ein Wohnmobil, das ist die eindeutig beste Weise, die beiden Inseln zu bereisen. Es handelte sich um einen kleinen Toyota mit spartanischem Campingausbau. Ich musste mich erst mal an den Linksverkehr gewöhnen und daran, dass Handbrems- und Schalthebel vertauscht sind. Aber es gab so wenig Autoverkehr außerhalb der Städte, dass es eigentlich egal war, auf welcher Straßenseite gefahren wurde.
Am nächsten Morgen hatten wir einen platten Reifen und bei näherer Betrachtung sah ich, dass auch die übrigen Reifen in jämmerlichstem Zustand waren. Nach der Reserveradmontage fuhren wir wutschnaubend zur Verleihfirma zurück und erfuhren, dass laut Vertrag für Verschleißteile, wie zum Beispiel Reifen, der Mieter zuständig sei. Nach einem ordentlichen Krach konnten wir mit neuen Reifen unsere Reise fortsetzen.
Neuseeland macht es einem Spötter nicht eben leicht, denn das Land (erdgeschichtlich eigentlich ein eigener Kontinent wie Australien) lässt einen Neuankömmling zwar staunen, aber es bietet nur wenig zu meckern und sonderlich Komisches findet sich auch nicht. Die urzeitlichen riesigen Farnbäume sind erhaben, die vielen Klima- und Vegetationszonen verblüffend, die Steaks gargantuesk, die Sounds (Fjorde) so wundervoll wie die Vulkangegend von Rotorua oder die Gletscher des Mount Cook. Die Kriegstänze der die Zunge ausstreckenden Maori (die Engländer glaubten lange, die furchtbarste Nahkampfwaffe sei ihr Bajonett, bis sie die Kampfhölzer der Maori kennenlernten) sind ebenso furchterregend wie die neuseeländischen Witze. Komisch ist allenfalls, dass es ausgerechnet eine französische Ortschaft namens Akaroa – eine der schönsten im Land, auf einem Kap gelegen – gibt, die von keinem der gängigen Reiseführer auch nur erwähnt wird.
Auf der Südinsel
Na ja, bei genauerem Hinsehen darf man getrost auch Karamea empfehlen, dort sind die hinterwäldlerischsten Hinterwäldler im Alter von fünf bis 95 Jahren zu besichtigen. Der Ort kam uns wie ein Freilichtmuseum einer längst vergangenen Zeit vor, in der es weder Telefone noch Radios oder Zeitungen gab und die Siedlungen so weit auseinander lagen, dass man kaum Kontakt untereinander hatte. An einer Scheunenwand an der Wiese, die uns ein Schild als Übernachtungsplatz zuwies, waren eine Reihe rätselhafter Gerätschaften angeordnet, die im Wesentlichen aus dicken stählernen Schraubenfedern mit aufmontierten ledergepolsterten Platten bestanden. Mir ließ die Sache keine Ruhe und so fragte ich am nächsten Morgen einen bärtigen Einheimischen. Wortfaul, aber freundlich verzichtete er auf lange Erklärungen, die ich sowieso kaum verstanden hätte (der hiesige Dialekt steht bei mir im Verdacht, ebenfalls aus der Zeit der Kolonisierung durch die Engländer zu stammen), schniefte durch die Nase, entfernte sich einige Meter von der Scheunenwand, nahm eigenartig geduckt Aufstellung, rannte mit einem Knurrlaut los und knallte tosend zuerst mit einer Schulter und dann nochmals krachend mit dem Kopf gegen das Polsterbrett. Ich war entsetzt. Nach der Zahl der Geräte musste sich ein erheblicher Teil der Dorfbewohner gruppenweise dieser selbstmörderischen Lustbarkeit hingeben. Mit Anerkennung heischender Miene entfernte sich unser Mann, nicht ohne uns bedeutet zu haben, dass all das der Ertüchtigung für das Rugbyspiel dienen sollte.
Um ehrlich zu sein: Auch die Natur treibt ihre Scherze. Es ist nämlich absolut lohnend, den berühmten und atemberaubenden Panoramastrecken zu folgen (keineswegs ungefährlich), besonders an der Westseite der Nordinsel. Bei unserer ersten Fahrt dort entlang herrschte so dichter Nebel, dass wir nur die Scheibenwischer des Campers sahen. Also befuhren wir noch ein zweites Mal dieselbe Straße. Wieder Nebel, und diesmal auch noch Regen. Wir fragten uns jetzt, welcher Witzbold sich die Panoramalüge hatte einfallen lassen. Kein Zweifel: das Panorama findet nur auf Touristikplakaten statt. Auf denen sieht man niedliche kleine Pinguine, See-Elefanten, große Robben, Wale, steile Felsküsten und Sonnenschein.
Verblüffend fanden wir die dünne Besiedelung der beiden Inseln. Man stelle sich Mitteleuropa nahezu menschenleer vor: Die wunderbaren Jahreszeiten mit ihrem stetigen Wechsel von Farben, Gerüchen und unterschiedlichen Gesichtern ein und derselben Landschaften. Die Berge, Seen, Schluchten und Ebenen. Bei uns wird jeder größere Baggersee mit einem Café oder wenigstens mit einer Erfrischungsbude bestückt, von Windsurfern und Booten befahren und von Badenden bevölkert. Die Berge tragen Dörfer, Berghütten, Almen und erdulden Bergbahnen aller Art. Schluchten sind mit Aussichtsplattformen entlang wohlgepflegter Wanderwege versorgt. Die Ebenen sind verstädtert. Hier aber gibt es all das nicht. So wirkt das kleine Neuseeland mit seinen vielfältigen Klimazonen und der aufregenden Topografie einerseits wie eine Miniaturnachbildung des großen Europa, andererseits aber angesichts seiner relativen Unberührtheit und oft genug auch eingeschränkten Zugänglichkeit nahezu endlos.
Neuseeland ist stellenweise äußerst dünn besiedelt. Foto: Tyler Lastovich/Unsplash
Ach, fast hätte ich das aktuelle neuseeländische Englisch vergessen. Die erstaunlichen Höhlen von Waitomo haben zwei Zugänge: der eine ist ein behindertengerechter Seniorengang (von uns bevorzugt), der andere besteht in der Möglichkeit, sich aus großer Höhe abzuseilen, was auf Neuseeländisch „to abseil“ heißt. Also: I abseil, you abseil, he abseils. We would have abseiled, if we’d have been in the mood to abseil, but we were not. Da sich dort aber niemand wieder aufseilt, muss ich die entsprechende neuseeländische Vokabel schuldig bleiben. Yes, mate.