Reist man als Deutscher in den Iran, erlebt man eine vollkommen andere Kultur und wird vorher nicht selten entsetzt “Was willst du denn im Iran? Ist es dort nicht gefährlich?” und ähnliches gefragt. So erging es auch Iris Lemanczyk.
Sie ist begeisterte Iran-Reisende, wenngleich sie auch manche Schattenseite dieses Landes kritisch betrachtet. In ihrem neuen Buch Fremder Iran berichtet Iris Lemanczyk von ungewöhnlichen Begebenheiten, von der Freundlichkeit der dort lebenden Menschen, wie es den Frauen im Land ergeht und was passieren kann, wenn grundverschiedene Lebensarten und Geflogenheiten aufeinanderprallen.
Lesen Sie hier einen Auszug aus Fremder Iran, der beschreibt, was Tarouf ist.
Großzügigkeit im Iran
Mit dem Taxi bin ich unterwegs zur Blauen Moschee, dem berühmtesten Baudenkmal von Täbris. Der Taxifahrer fragt mich, woher ich komme, ob es mir im Iran gefalle und welchen Fußballclub ich unterstütze. Obwohl mich Fußball nicht besonders interessiert, habe ich mir angewöhnt »VfB Stuttgart« zu sagen. Soviel Lokalpatriotismus muss sein. Wie die meisten iranischen Männer kennt sich auch mein Taxifahrer in der Bundesliga bestens aus. Aufgrund meiner Antwort macht er ein betrübtes Gesicht und sagt: »Stuttgart – problem. Bayern good.« Ich nicke betreten wie ein echter Fan. Kurz danach sind wir an der Blauen Moschee angekommen. Als ich die Fahrt bezahlen möchte schüttelt der Taxifahrer den Kopf: »Nein. Sie brauchen nicht zu bezahlen. Danke, dass ich Sie fahren durfte.« Ich stutze kurz, freue mich aber sehr über diese unerwartete Großzügigkeit.
Wir hatten uns ja während der Fahrt wirklich sehr nett unterhalten, und furchtbar weit war die Strecke auch nicht. Ich steige aus und bin in Gedanken schon bei der im Jahr 1465 fertiggestellten Blauen Moschee, die wegen ihrer kobaltblauen Fliesenverkleidung einmal weltberühmt war, allerdings, bevor 1780 der größte Teil des Gebäudes einem Erdbeben zum Opfer fiel. Doch vor dem Erdbeben, so heißt es, wurde das Leuchten der Blauen Moschee nur vom Blau des Himmels übertroffen.
Foto: elishka, Blue Mosque, Tabriz (cc-by-sa 2.0)
Anfängerfehler …
Begeistert zücke ich den Fotoapparat, da hupt es penetrant hinter mir. Der Taxifahrer winkt und gestikuliert. Er sieht verärgert aus. Ich gehe zu dem netten Mann, der nun gar nicht mehr so nett wirkt, sondern vehement und mit lauter Stimme sein Geld einfordert. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Noch vor drei Minuten wollte er mir doch das Fahrtgeld schenken, dachte ich zumindest.
Was für ein Anfängerfehler! Ich bin auf die persische Höflichkeit reingefallen, die sogar einen eigenen Namen hat: Tarouf. Kleinlaut und mich vielmals entschuldigend zahle ich das Fahrtgeld. Welch peinlicher Moment für uns beide. Äußerst mürrisch braust der Taxifahrer davon. Höflichkeit ist im Iran nämlich mehr als nur gutes Benehmen. Eigentlich ist Höflichkeit eine Art zeremonielle Unaufrichtigkeit. Tarouf eben, und Tarouf ist anstrengend, denn Tarouf geschieht subtil, hinter vielen höflichen Floskeln, die aber niemand für bare Münze nimmt. Sonst wird es wirklich peinlich, wie zwischen dem Taxifahrer und mir.
Zeremonielle Unaufrichtigkeit
Tarouf durchzieht viele Lebensbereiche: das Einkaufen, jede Dienstleistung, jede Bezahlung, jede Einladung und sei es nur, die Kleinigkeit, im Bus einen Keks anzubieten oder anzunehmen. Tarouf hat seine eigene Choreographie, die Nicht-Iranern umständlich, mühsam und vollkommen unnötig vorkommt: Wird man zum Essen eingeladen, sagt man nicht etwa freudig dankend zu. So einfach macht es uns Tarouf nicht. Die höfliche persische Reaktion ist dankend abzulehnen. Daraufhin kann der Gastgeber seine Einladung erneut aussprechen, nur damit man erneut ablehnen kann. Wiederholt der Gastgeber die Einladung aber ein drittes Mal, kann man davon ausgehen, dass sie auch wirklich als Einladung gemeint ist. – Man kann sich vielleicht noch ein bisschen zieren, wird vom Gastgeber noch ein bisschen gedrängt, bevor man endlich zusagen darf.
Foto: Iris Lemanczyk, Einladung zum Picknick
How to Tarouf
Genauso hätte es zwischen dem Taxifahrer und mir ablaufen müssen: Er sagt, er schenke mir die Fahrt. Statt begeistert das Auto zu verlassen, hätte ich darauf bestehen müssen, dass er das Geld annimmt. Er hätte erneut, vielleicht aber etwas weniger energisch ablehnen müssen, woraufhin ich ihm das Geld hätte entgegenstrecken sollen. Nach einer weiteren Runde hätte er das Geld dann eingesteckt und ich hätte – ganz die tarouf-erfahrene Reisende – aus dem Taxi steigen und mich der Blauen Moschee widmen können.
von Iris Lemanczyk
Foto Header: Panorama von Täbris